1A-Award 2023,  Arzt

Kategorie Arzt: Wer bekommt in diesem Jahr den Sonderpreis „Courage“?

Nicht wegschauen, wenn andere Hilfe benötigen. Nicht aufgeben, auch wenn die Lage kritisch ist. Nicht den einfachen Weg gehen, weil es bequemer ist. Auch in diesem Jahr gibt es neben dem regulären 1A-Award den Sonderpreis „Courage“ – für echte Vorbilder im Gesundheitswesen. Eine unabhängige Jury kürt im Juni den diesjährigen Gewinner. Das sind die vier Nominierten:

Ulla Rose

Sie hat eine klare Idee von den Dingen, um die sie sich aufopferungsvoll kümmert. Ulla Rose aus Berlin ist seit 40 Jahren im Beruf – als Krankenschwester, Lehrerin für Pflege­berufe und Geschäftsführerin des Vereins Home Care Berlin. Dort bietet sie etwas ganz Außergewöhnliches an: Letzte-Hilfe-Kurse für Menschen, die ihre Angehörigen oder Freunde in der letzten Lebensphase begleiten.

Ulla Rose

Jährlich erreicht sie mit ihrem Engagement weit mehr als 300 Betroffene in ca. 25 kostenlosen Kursen. Auch Fachkräfte nutzen das Angebot „Letzte Hilfe professionell“. Dort wird bei schon im Gesundheitssystem tätigen Personen unterschiedlichster Berufsgruppen das Bewusstsein für die besonderen Versorgungsanforderungen geschärft und die Fachlichkeit gestärkt.

„Im Rahmen von Lehrveranstaltungen kann ich pflegerische und ärztliche Nachwuchskräfte für dieses wichtige Thema interessieren, weil ich auch Lehrerin für Pflegeberufe bin“, erklärt Ulla Rose. Die Krankenschwester weiß genau, wovon sie spricht. Sie hat schon viele Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleitet, auch ihren Mann und einen Neffen, der sehr früh gestorben ist.

Wie sehen diese Letzte-Hilfe-Kurse konkret aus? Sie sind fokussiert auf die unterschiedlichen Herausforderungen und in vier Module unterteilt. Im ersten Teil geht es darum, dass die Teilnehmer sich bewusst machen, dass das Sterben auch zum Leben gehört. „Und damit geben wir ihnen auch die Möglichkeit, diesen Abschnitt aktiv zu gestalten“, so Rose.

Im zweiten Modul bietet sie administrative Hilfe an, um alle wichtigen Dinge zu vermitteln, damit die Kranken oder Sterbenden ihre letzten Monate selbstbestimmt erleben können. Da geht es auch um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten für die pflegenden Personen.

Teil drei ist dann gespickt mit praktischen Tipps. Auch mit Anregungen, die so nicht in einem Fachbuch stehen. „Wer unter trockenem Mund leidet, benötigt Flüssigkeit“, sagt die Kursleiterin. „Aber wer will immer nur Wasser trinken. Da darf es auch mal ein Bier, ein Glas Sekt oder ein Eierlikör sein.“ Das letzte Modul ist überschrieben mit „Abschied nehmen“. Dort erklärt sie, wie Angehörige diese schwierige Aufgabe meistern können.

Dr. Raimund Balmes

Der Augenarzt praktiziert seit über 25 Jahren in einer Gemeinschafts­praxis im westfälischen Ahlen (bei Münster), doch seine große Liebe gehört Afrika. Vier Jahre vor seiner Niederlassung arbeitete er als Dozent für Augenheilkunde an der Universität von Daressalam in Tansania. Und die Erlebnisse dort haben ihn bis heute nicht losgelassen.

Dr. Raimund Balmes

So engagiert er sich immer wieder persönlich für Hilfsprojekte vor Ort. Um die Unterstützung nachhaltig zu gestalten und auch andere miteinzubeziehen, ist Dr. ­Raimund Balmes­ auch im Vorstand des „Deutschen Komitees zur Verhütung von Blindheit“ – aktiv zusätzlich zu seiner Aufgabe als Vorsitzender des Stiftungsrats der „Stiftung Augenlicht“ in seiner Heimat Ahlen.

Dr. Balmes weiß sehr genau um die Herausforderungen in Tansania. „Dort kommt ein Augenarzt auf ca. 1,5 Millionen Einwohner“, sagt der Experte, „und meist handelt es sich dabei um Krankenpfleger, die eine Fortbildung genossen haben.“ In der Hauptstadt Daressalam ist die Versorgung zwar nicht vorbildlich, aber immer noch besser als in ländlicheren Regionen.

Deshalb sammelt Dr. Balmes mit seiner Stiftung Augenlicht Geld, um die Ausbildung von einheimischen Operateuren zu ermöglichen. Auch moderne Geräte und spezielle Medikamente werden in Tansania benötigt. Um konkret zu helfen, ist die Ahlener Praxis von Dr. Balmes eine Partnerschaft mit Kollegen in Tansania eingegangen.

Dr. Ibrahim Awad

Ein Mittwoch im Oktober 2021. Dr. Ibrahim Awad verlässt am Nachmittag pünktlich nach seinem Dienst die Asklepios-Klinik in Lindau am Bodensee. Dort ist er als Oberarzt in der Bauchchirurgie beschäftigt. Vor dem Lindaupark, einem großen Einkaufszentrum, trifft er seinen jüngsten Sohn und seine Frau. Sie ist ganz aufgeregt: „Direkt am Eingang liegt jemand regungslos am Boden.“

Dr. Ibrahim Awad

Dr. Awad überlegt nicht lange und eilt zu dem Mann am Boden. Er kämpft sich durch die Menschentraube, erkennt sofort die Lage. „Der Mann hatte einen Herzstillstand. Ich musste sofort handeln, mit den Wiederbelebungsversuchen beginnen“, erklärt der Oberarzt. Und er bewahrte den Rentner vor dem sicheren Tod. Denn Passanten wollten ihn in eine stabile Seitenlage bringen. Doch Dr. Awad schreitet ein. „Bloß nicht, dann stirbt er!“ Der Chirurg dreht den Herrn auf den Rücken, startet sofort mit einer Herzdruckmassage. Was viele nicht wissen, war Dr. Awad bekannt: „Entscheidend bei einem Herzstillstand sind die ersten fünf Minuten, es heißt auch, das sind die goldenen Minuten.“ Er kämpft weiter um das Leben des Mannes, pumpt mit viel Kraft das Blut des stillstehenden Herzens in die wichtigen Organe.

Schließlich kommt der Rettungsdienst. Der Notarzt ist ein Kollege von Awad, jetzt arbeiten sie als Team weiter. Was folgt: Intubation, Infusionen, Adrenalin-Spritzen, auch mehrere Schocks mit dem Defibrillator. „Wir hatten wenig Hoffnung nach 30 Minuten ohne Puls“, erzählt Dr. Awad, „doch plötzlich fing das Herz wieder leicht an zu schlagen.“

Dann der nächste Rückschlag. Auf dem Weg in den Rettungswagen setzt das Herz des alten Herrn erneut aus. Sie starten erneut eine Reanimation. Wieder mit Erfolg. Der Rentner überlebt, die Ärzte in der Klinik attestierten später einen Herzinfarkt. Weil Dr. Awad alles schnell und richtig gemacht hat, gibt es keine bleibenden Schäden bei Erich Hörmann.

Heute sind sie Freunde, fahren regelmäßig zusammen mit dem Boot raus zum Angeln. „Obwohl ich Arzt bin, war ich trotzdem aufgeregt. Aber am Ende zählt nur, dass Erich es geschafft hat!“

Prof. Dr. Thomas O.F. Wagner

Er ist schon ein ganz besonderer Arzt: klinisch und wissenschaftlich tätiger Pneumologe und Internist in Kronberg (Hessen), Hochschullehrer, Leiter des Frankfurter Referenzzentrums für Seltene Erkrankungen (FRZSE) des Universitätsklinikums Frankfurt am Main und – last but not least – Leiter der Frankfurter Studentenklinik für „Patienten ohne Diagnose“. Prof. Dr. Thomas O.F. Wagner hat eine ungewöhnliche Berufung, er kümmert sich um Patienten, denen bislang kein anderer Arzt helfen konnte. So engagiert er sich seit vielen Jahren auf nationaler und europäischer Ebene für die Verbesserung der Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen.

Prof. Dr. Thomas O.F. Wagner

Die Studentenklinik des FRZSE ist ein Projekt, das Prof. Wagner richtig am Herzen liegt. In mehreren Teams übernehmen hier die Medizinstudierenden der Frankfurter Goethe Universität schon früh Verantwortung. Immer auf der Suche nach einer Dia­gnose, die andere nicht gefunden haben.

Unter dem Motto: „Studenten forschen nach“ wurde das Projekt im Oktober 2012 maßgeblich von Prof. Wagner ins Leben gerufen. Dabei übernehmen die Studierenden von der Bearbeitung der eingesendeten Akten über die Patientenbetreuung und die Telefonsprechstunde einen Großteil der Organisation der Klinik und liefern mit ihrem unvoreingenommenen Blick und ihrem Motto „Nichts ist unwichtig“ einen wichtigen Beitrag zur Arbeit des FRZSE.

„Das Gute an den studentischen Mitarbeitern ist, dass sie an die Fälle völlig unvoreingenommen herangehen“, erklärt Prof. Wagner „Ich habe oft schon eine Idee, welche Spur ich verfolgen möchte. Es kann aber sein, dass ich damit den Blick für andere mögliche Dia­gnosen zu früh einenge. Gerade bei seltenen Erkrankungen helfen Erfahrung und ärztliche Intuition nicht weiter“, weiß der Pneu-
mologe.

Doch auch in der Studentenklinik brauchen die Dinge Zeit. Erfüllt ein Patient die Kriterien für die Aufnahme, kommt er zunächst auf eine Warteliste. Es kann mehrere Monate dauern, bis sein Fall in der Studentenklinik bearbeitet wird. „Kein Facharzt kann in unserem Gesundheitssystem genug Zeit aufbringen, die Krankenakte eines Patienten mit einer seltenen Erkrankung so gründlich zu analysieren wie unsere Studenten“, so Prof. Wagner. Während man sich im Normalbetrieb dafür etwa eine halbe Stunde Zeit nehmen kann, verbringen die Studierenden zwischen acht und 20 Stunden damit. „Das ist Gold wert“, lobt der Nominierte.