Kategorie Arzt: Sonderpreis „Courage“ für Dr. Jördis Frommhold
Manche Konstellationen gibt es nur einmal im Leben. Stell dir vor, du wirst mit 38 Jahren eine der jüngsten Chefärztinnen in Deutschland – und gleichzeitig legt die COVID-19-Pandemie ein ganzes Land lahm. Es gibt genau zwei Möglichkeiten: Kurzarbeit oder den Kampf gegen das Virus. Dr. Jördis Frommhold gründete das Institut LongCovid. Für dieses herausragende persönliche Engagement wird sie jetzt mit dem Sonderpreis „Courage“ des 1A-Awards ausgezeichnet.
Was dachten Sie, als Sie das erste Mal von COVID-19 erfahren haben?
Sehr wahrscheinlich genau das, was fast alle Menschen gedacht haben. COVID-19 ist einer Grippewelle ähnlich und wird so schnell verschwinden, wie es gekommen ist. Wie wir jetzt wissen, war diese Annahme ein großer Irrtum.
Wann war Ihnen klar, dass wir es nicht mit einer starken Grippewelle zu tun haben?
Das ging relativ schnell. Wir hatten plötzlich auf unserer Station einen durchtrainierten Triathleten, den COVID-19 von einem Tag auf den anderen zu einem schwerkranken Patienten gemacht hat. Da wusste ich, dass wir vor einer großen Herausforderung stehen, medizinisch und gesellschaftlich.
Wie stark hat die Pandemie Ihr Leben verändert?
Die Pandemie hat beruflich alle Pläne über den Haufen geworfen. Ich habe meine erst kürzlich angetretene Chefarztstelle am Median-Klinikum in Heiligendamm gekündigt und mich in Rostock zum 1. Januar 2023 mit dem Institut LongCovid selbstständig gemacht. Es war eine riesige Herausforderung in dieser schwierigen Zeit. Wir haben ja komplett bei null angefangen – ohne irgendwelche Erfahrungswerte. Und ohne Netz und doppelten Boden …
Haben die Menschen während der Pandemie die Spätfolgen von COVID-19 auf die leichte Schulter genommen?
Ja, leider. Einerseits aus Unwissenheit, anderseits wollten es einige auch einfach nicht wahrhaben. So nach dem Motto: Wenn mir das nicht gefällt, dann gibt es das auch nicht. Wenn man heute sieht, wie viele Menschen immer noch mit den Spätfolgen von COVID-19 zu kämpfen haben, muss man wirklich den Kopf schütteln über so viel Naivität oder Dummheit.
Was waren die Ziele des Instituts LongCovid?
Das Institut konzentrierte sich auf die Beratung der Betroffenen. Wir haben Therapiemöglichkeiten erläutert und praktische Anwendungen geschult. Ergänzend wurden neben ärztlicher Aufklärung zum Krankheitsbild auch physiotherapeutische, psychotherapeutische, ergotherapeutische und sozialmedizinische Aspekte einbezogen – analog aber auch digital. Ziel dabei war es, wieder ein möglichst normales Leben führen zu können und Belastungen durch lange Arbeitsunfähigkeitszeiten abzuwenden.
Institut geschlossen
Am 1. April 2024 musste das Institut zur Betreuung von Menschen mit COVID-19-Spätfolgen in Rostock nach 18 Monaten wieder schließen. Nach dem Auslaufen der Förderung durch das Land Mecklenburg-Vorpommern war der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich. Ein Grund: Die Betreuung wurde bislang nicht in die Regelversorgung aufgenommen.
Gab es eine Situation, in der Sie ganz persönlich mit solchen Dingen konfrontiert wurden?
Ja, ich erinnere mich da eine Fernsehdiskussion, zu der ich aus dem ARD-Studio in Schwerin zugeschaltet war. Damals saßen in solchen Runden auch noch sogenannte Querdenker. Einer verlangte dort, dass man unbedingt Gebrauchsanweisungen beim Maskenverkauf mitliefern müsse, damit sie auch richtig benutzt werden. Bei diesem Niveau fiel es mir sehr schwer, nicht aus der Haut zu fahren.
Empfinden Sie die Schließung des Instituts als persönliche Niederlage?
Auf keinen Fall. Wir sind in einer schwierigen Zeit ganz neue Wege gegangen, haben vielen Menschen helfen können. Wir haben frühzeitig erkannt, wie wichtig der professionelle Umgang mit den Spätfolgen von COVID-19 ist. Und wir haben es einfach gemacht. Darauf bin ich besonders stolz. Aber ohne wirtschaftliche Grundlage lässt sich so ein Institut leider nicht weiterführen.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit?
Ich bin weiterhin fest entschlossen, alles nur Mögliche zu tun, um die Versorgung der Leidenden zu verbessern. Das Behandlungskonzept des Instituts LongCovid hat zu deutlichen Verbesserung geführt und vor allem den Patienten das Gefühl vermittelt, endlich ernst genommen zu werden.
Wie geht es weiter mit Ihnen und Long-COVID-Patienten?
Ich betreue viele Betroffene nebenberuflich weiter. Die Website des Instituts ist auch nach wie vor online. Dort kann man weiterhin eine Videosprechstunde mit mir buchen. Allerdings sind die Wartezeiten relativ lang, weil auch mein Tag nur 24 Stunden hat. Die Nachfrage ist immer noch sehr hoch, denn das Thema hat auch heute nichts von seiner Relevanz verloren.
Wie viel Kraft hat Sie die Arbeit der letzten Jahre gekostet?
Für mich war der Aufbau und die Leitung des Instituts LongCovid ein Herzensprojekt. Ich habe meine ganze Expertise und Energie dort hineingesteckt. Ich habe aber auch von Patienten und deren Angehörigen so viel positives Feedback bekommen, dass es mich immer weiter getragen hat. Heute bin ich dankbar über alle Erfahrungen, die ich machen durfte. Und weiterhin hoch motiviert.
Würden Sie alles genau so wieder machen?
Ja.
Wie geht es für Sie persönlich weiter?
Hauptamtlich bin ich bei der „IKK – die Innovationskasse“ als Beratungsärztin beim Vorstand für medizinische Qualitätssicherung und Innovation zuständig. Meine Erfahrungen aus den letzten Jahren kann ich dort sehr gut einbringen.
Gibt es aus Ihrer Sicht noch eine zweite Chance für das Institut?
Für die Menschen, die weiterhin an den Spätfolgen von COVID-19 leiden, wäre es schön, wenn das Institut LongCovid einen neuen Träger bekäme. Die Basis ist gelegt, eine intakte Infrastruktur gibt es weiterhin, was fehlt, ist ein neues Zuhause. Vielleicht könnte man es an eine Universitätsklinik andocken. Das wäre mein größter Wunsch.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Der Preis berührt mich sehr und macht mich stolz. Aber er gehört auch allen meinen Mitstreitern, die am Institut LongCovid zu jeder Sekunde alles für unsere Patienten und deren Angehörige gegeben
haben.
Bildquellen: 1 A Pharma und C.H.Beck